Interview mit dem Künstler Siegmar Warnecke
Interview mit dem Künstler Siegmar Warnecke zu seinen Bildern in dem Theaterstück „Kerims Nase“.
In KERIMS NASE geht es um den jungen Künstler Isa, der eine Ausstellung machen will. Du warst damit beauftragt, Dir „ein Werk für Isa“ auszudenken. Wie bist Du vorgegangen?
Ausgangspunkt ist ja in diesem Fall immer das Stück. Ich habe es gelesen und all die Stellen markiert, in denen Isa über seine Bilder spricht aber auch über sich als Künstler. Ich fande es spannend, zu überlegen, wie die ausgedachte Werkbiographie eines fiktiven Künstlers aussehen könnte. Was treibt Isa als Künstler an? Was charakterisiert ihn ? Da gibt es ja viele Elemente. Er hat eine spielerische Seite, dann hat er einen deutschen, aber auch türkischen Background. Ebenso spielt die Karikatur als Genre eine wichtige Rolle für ihn.
Welche Funktion haben die Bilder für Dich?
Mmmh. Vielleicht ist es mein persönlicher Ehrgeiz. Aber ich wollte, dass es mehr ist als nur ein Gimmick – so als Teil des Kostüms eines Künstlers: Staffelei, Pinsel und Baskenmütze. Aber da muss man wieder zum Stück zurück. Ein wichtiges Thema für mich war das Motiv der „Freiheit der Kunst“. Das ist ja ein Recht, das im Grundgesetzt festgeschrieben ist. Warum hat unsere Gesellschaft sich entschieden, dass die Kunst ein so hohes Gut ist, dass wir der Kunst und in diesem Gesetzt auch der Wissenschaft einen so hohen Stellenwert zukommen lassen?

Und, warum?
Niemand weiß das. Warum gibt es kein Recht auf die Freiheit der Gärtnerei, der Bäckerei usw.? Nimm mal eine Karikatur, die ist ja, wie gesagt, für Isa wichtig. Karikaturen können mit ganz einfachen Mittel, machmal mit wenigen Strichen eine totale Ähnlichkeit mit einer Person erzeugen. Wir sehen sofort, ah das ist Mick Jagger oder der und der Politiker. Gleichzeitig ist es aber auch eine totale Verzerrung, Nasen, Münder werden riesig, der Gesichtsausdruck zugespitzt. Das führt bei uns ja häufig zu einem Lachen bei Karikaturen. Der Zeichner zeigt uns noch eine andere Wahrheit über eine Person.
Schön, dass Du auf die Karikatur als Form zu sprechen kommst. Die ist ja auch im Stück wichtig.
Die Karikatur ist eine spannende Form – voll der Widerspruch in sich – da ist Ähnlichkeit und Verzerrung in einem Bild gleichzeitig. Das ist aber ja genau die Entscheidung eines Künstlers. Wenn wir eine Karikatur sehen, erkennen wir etwas, das wir aber irgendwie auch schon gewusst haben. Ich glaube, das ist ein anderer Grund, warum wir bei Karikaturen lachen – wie wenn man ein Rätsel gelöst hat: Ja genau so ist diese Person.
Menschen lachen aber nicht nur bei Karikaturen. Manche werden wütend oder fühlen sich davon beleidigt.
Stimmt. Die Wahrheit einer Zeichnung ist ja immer eine, die mit den Entscheidungen des Künstlers zu tun hat. Es handelt es sich ja nicht, um die absolute, ewige Wahrheit. Eine Karikatur ist immer auch persönlich oder subjektiv. Am Ende geht es ja um eine Auseinandersetzung mit einer solchen Karikatur – egal ob es Zustimmung oder Ablehnung ist. Was ist die Erkenntnis oder Aussage eines Bildes und wie stehe ich dazu. Teile ich als Betrachter die Kritik oder den Spott einer Karikatur.
Wir sind jetzt ein bisschen von der Frage abgekommen, warum die Kunst durch das Grundgesetzt geschützt ist …
Das ist ein ganz praktischer Grund. In den letzten Jahrhunderten sind wir in Europa zu der Einsicht gekommen, dass es keine absoluten, ewigen Wahrheiten gibt, bzw. wir als Menschen begrenzte Möglichkeiten haben, die Welt mit unseren Sinnen zu erkennen. Kant hat ja darüber geschrieben. Nur Fundamentalisten und Ideologen glauben, dass sie eine Quelle des absoluten Wissens haben. In der Kunst zeigt sich das, indem man das Bild nicht für die Sache nimmt. Ein Bild ist immer nur eine Darstellung von etwas. Genauso wie eine Landkarte nie identisch mit dem Land ist. Egal, ob es ein Bild, die Sprache, eine Fieberkurve, ein Diagramm oder eine mathematische Formel ist, wir können immer nur einen Ausschnitt von der Realität darstellen und erkennen. Aber die Welt um uns ändert sich ständig – im Kleinen wie im Grossen. Wie können wir damit Schritt halten? Wir müssen uns auf neue Situationen einstellen, die wir noch nicht verstehen. Wenn ich heute auf etwas beharre, was für eine Gesellschaft vor hunderten Jahren vielleicht richtig war, kann dies in eine Sackgasse oder sogar zu menschlichen Katastrophen führen.
Die Kunst kann Katastrophen verhindern?
Na, dass wäre bissl ne Überforderung der Künstler (lacht). Wir sind kein Weltretter. Vielleicht mehr Weltentdecker. Künstler und Wissenschaftler sind Entdecker und Forscher von parallelen Realitäten mitten in uns. Beide stellen Fragen: Könnte die Wirklichkeit nicht auch so oder so sein ? Was passiert, wenn man etwas so sieht ? Es ist ein Labor der Zukunft. In unser Vorstellung können wir in Büchern, auf der Bühne oder in Bildern Ideen, Konzepte durchspielen, ausprobieren und testen, aber auch verwerfen. Dies ist auch das Angebot an einen Betrachter. Er muss sich da auch einbringen.
Inwiefern arbeitest Du in einem „Labor der Zukunft?“
Man findet in der Kunstgeschichte unzählige Beispiele, wie Künstler sich mit Konzepten auseinandergesetzt und gestaltet haben, bevor diese gesellschaftlichen Normalität wurde. Vor allem haben wir gelernt, dass nicht alle Künstler in dieser Hinsicht relevant sein müssen. Insofern geht’s hier gar nicht so sehr um mich … Selbst wenn 95 Prozent der hergestellten Kunst und Künstler auf lange Sicht bedeutungslos bleiben, reichen die übrigen 5 Prozent, um den Schutz und auch die Kultivierung zu rechtfertigen. Daher die Freiheit der Kunst. Sobald die Menschen Angst haben, trauen sie sich nicht , das Abwegige, Alberne oder Seltsame zu äußern.
Könntest Du zum Abschluss noch was zu den Bildern in KERIMS NASE sagen?
Das wird aber nur stichwortartig sein können. Am Besten ist es, sich die Bilder selber anzusehen und dann mit anderen erst Mal zu formulieren, was man da sieht. Aber ich gehe gern mal die einzelnen Motive durch:
Fische: Isa malt ja schon als Junge viele Fische. Die Bilder sind sein Jugendwerk. Wenn man sich diese Fische ansieht, sind es bereits Karikaturen – die Form, der er sich jetzt widmet.

Da ist der Trinkerfisch, ein Diskofisch, ein Labyrinthfisch. Ist der noch ein Fisch oder schon ein Mensch ? Wenn man wollte, könnte man sich zu jedem dieser Fische eine Geschichte ausdenken …
Eine schöne Idee für einen Workshop!
Blubbrfisch und Kreuzfisch: Das sind zwei Bilder aus einer Serie von großformatigen Bildern mit dem Titel „Everything fine here“. Hier hat man wieder die Fische, aber auch den Einfluss von Isas türkischer Herkunft in den arabisch anmutenden Schriftzügen. Diese Serie sind Monumentalkarikaturen, die aber nur mit Kreide auf einer Schultafel gezeichnet sind. Hier schon der Gegensatz zwischen ewig/monumental und vergänglich. In der klassischen Tradition der Karikatur hat Isa aktuelle gesellschaftliche Phänomene typisiert und veranschaulicht. Gleichzeitig spielt er mit dem Mischen verschiedener Zeichenelemente – Emojis, Fischkarikatur und Sprache. Er kreiert sozusagen neue Fischarten.

Heimat für Touristen: Das ist erst Mal eine Art Selbstportrait. Aus seiner Lebensgeschichte als Türke, der in Deutschland aufgewachsen ist. Die Frage: Was ist Heimat ? Er kommt dazu, dass er halt ein Reisender ist. Die ganze Welt kann die Heimat sein. Gleichzeitig weiss eh niemand wohin die Reise geht. – Hier ist er mehr von der Streetart und Graffiti beeinflusst.
Dann gibt es aber auch noch dieses Erkenntnismotiv, von dem ich vorhin gesprochen hatte. Die Landkarte ist nicht das Land. Wenn man sich die Figur und auch das Bild auf der Staffelei anschaut, dann sind die selber Landkarten, so, wie sie gemalt sind. Schwarze Umrisslinien und monochrome Farbflächen. Das Unfertige spielt da auch mit rein. Es ist mehr so die Frage: Wer bin ich ? Das ist ja eh ne uralte philosophische Frage, an die Isa da anknüpft.

Der lachende Gott: Das war eher ein Spontaneinfall von Isa. Er fand die Idee lustig, ob man ein unsichtbare Idee „Gott“ darstellen kann. Da sind wieder die arabisch anmutenden Schriftzeichen mit dem Wort Inshallah. Es sind die blitzenden Zähne des lachenden Wesens. Er spielt da mit Vorder und Hintergrund. Wenn man genau schaut, ist der Schriftzug die verwischte Landschaft hinter dem Kopf. Also ist Gott die Welt oder die Lobpreisung Gottes? Das Wesen, das wir da sehen, bauen wir ja in unserem Kopf zusammen. Es ist so ne Mischung aus der Chesire Katze aus „Alice im Wunderland“ und Bugs Bunny.
Im Christentum wird Gott ja gerne als alter Mann mit Bart oder als Licht dargestellt. Das Problem mit Bilderverboten in Religionen ist ja, dass man dann eigentlich nicht nur die Bilder, sondern auch das Sprechen darüber verbieten müsste. Am Ende sind Sprache und Bilder in dieser Hinsicht gleich.
Wie meinst Du das ?
Na, wenn ich dir das Wort „Tisch“ sage, siehst du dann die Schriftzüge des Wortes „Tisch“ oder das Bild von einem Tisch ? Gehörlose haben für „Tisch“ Gesten – und andere Sprachen benutzen andere Worte als „Tisch“. Am Ende entsteht in unserem Kopf immer ein bestimmtes Bild von der Welt. Isa macht das ja, wenn er das Wort für „Beten“ zeichnet. Die drei Schriftzeichen kann man ja auch als stehenden Menschen, sich beugenden Menschen und als knieenden Menschen sehen. Es ist eigentlich voll eine Animationsequenz. Man könnte da ein Daumenkino basteln.
Mütter: Die beiden Frauenfiguren stellen seine Herkunft und die seiner Frau dar. Der Spass für mich war, wie man mit Alltagsgegenständen aus Isas Atelier – Besen und Schuhe etc. – menschliche Figuren erschafft.
Das Gespräch haben wir nach einer Vorstellung von KERIMS NASE geführt. Siegmar Warnecke war für die „Art Work“ in der Inszenierung verantwortlich. Er begleitet die Aufführungen und bietet Kunstworkshops zur Vor- und/oder Nachbereitung an. Maja Das Gupta hat das Stück geschrieben und in München inszeniert.